Am 6. August 2023 jährt sich der Atombomben-Abwurf auf Hiroschima zum 78. Mal. In den USA wurde er als Zeichen der Überlegenheit der Alliierten gesehen. Für hunderttausende Japaner fing die Welt wortwörtlich an zu brennen. Der damalige US-Präsident Truman verteidigte diese Entscheidung bis an sein Lebensende. Doch war es die einzige Möglichkeit den zweiten Weltkrieg zu beenden? Wurden durch den Atomwaffeneinsatz mehr Leben gerettet als zerstört? Und wie wird heute mit diesem Tag umgegangen?

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Vom Atom zur Bombe
Der Grundstein für eine Atomwaffe wurde 1938 durch die Entdeckung der Kernspaltung von Otto Hahn gelegt. Wie der Name bereits vermuten lässt, war er Deutscher. Ihm gelang es zusammen mit Lisa Meitner und Fritz Straßmann Uran mit Neutronen zu bestrahlen. Und das nur ein Jahr vor dem Überfall Hitler-Deutschlands auf Polen, der den zweiten Weltkrieg einleiten sollte. Wissenschaftler aller Welt waren sich der Gefahr des militärischen Missbrauchs dieser neuen Entdeckung bewusst.
Lange war es für die USA nicht von großer politischer Bedeutung. Dies änderte sich am 7. Dezember 1941: Mit dem Angriff Japans auf Pearl Harbor trat die USA offiziell in den zweiten Weltkrieg ein. Bereits 1942 begann die USA unter dem Codenamen „Manhattan-Projekt“ die Entwicklung einer Atombombe. Der hochangesehene Wissenschaftler Robert Oppenheimer übernahm die Leitung des Nuklearwaffenlabors. In den nächsten Jahren wurden in Los Alamos (New Mexico) Reaktoren zur Gewinnung waffenfähigen Urans erbaut. Der erste Reaktor lieferte zunächst nur 0,5 Watt Leistung. Zum Vergleich: Energiesparlampen verbrauchen etwa 7 Watt.
Diese Reaktoren wurden weiter verbessert. So wurde über die Zeit mehr waffenfähiges Uran produziert. Im Mai 1945, kurz nach der Kapitulation Deutschlands, war es genug zum Bau zweier Bomben: Gadget und Little Boy. Während Little Boy bereits seine Reise in den Pazifik antrat, wurde die erste Atombombe der Welt gezündet. In der Wüste New Mexicos detonierten die Wissenschaftler Gadget. Die Sprengkraft übertraf die berechneten Werte.
Ultimatum
Juli `45: Die USA stellten gemeinsam mit Großbritannien und der Republik China ein Ultimatum an Japan. Darin forderten sie die bedingungslose Kapitulation und drohten mit „schneller und vollständiger Zerstörung“, wie es in Artikel 13 der Potsdamer Erklärung hieß. Japan folgte dieser Forderung nicht. Um keine eigenen Soldaten zu verlieren, entschied sich die militärische Führung der USA für den Einsatz der Atombombe.
Zerstörung
Am Morgen des 6. Augusts 1945 startete das Flugzeug „Enola Gay“ mit Little Boy an Board. Ihr Ziel war Hiroschima: Eine Stadt mit wichtigem Militärstützpunkt, die bis dahin vom Krieg verschont blieb. Die japanische Luftwaffe sichtete die Maschine und ihre zwei Begleitflugzeuge, hielt die kleine Gruppe
jedoch für Aufklärer. Um 8:15:17 Uhr wurde die Bombe über Hiroshima abgeworfen. Die Bombe sollte eine Brücke der Stadt treffen. Obwohl die Bombe ihr Ziel verfehlte, zerstörte sie alles im Umkreis von zwei Kilometern. 140.000 Menschen starben in Bruchteilen einer Sekunde.
Drei Tage später Explodierte eine zweite Atombombe über Nagasaki. Diese verfehlte die Stadt aufgrund schlechten Wetters um 1,5 Kilometer. Dennoch starben 70.000 Menschen durch die Explosion. In den nächsten Jahren folgten schätzungsweise 200.000 weitere Strahlungstote in beiden Städten.
Heutige Sicht und Umgang
Heute wird weltweit den Opfern beider Bomben gedacht. Hannover legte im Zuge ihrer Städtepartnerschaft mit Hiroshima einen Park an. Zusätzlich hat die niedersächsische Hauptstadt den Hiroshima-Tag ins Leben gerufen. An diesem wird jährlich den Opfern der Atombombe gedacht.
Im Friedenspark Hiroshima wurden viele Denkmäler erbaut: Die Lampe der Nachtwache, die Statue der Barmherzigen Mutter und über 50 mehr. Dabei sticht vor allem das Kinder-Friedensmonument heraus. Es ist Sadako Sasaki gewidmet. Diese verstarb im Alter von zwölf Jahre an Leukämie – ausgelöst durch die Strahlungen der Bombe. Im Krankenhaus erzählte eine Freundin ihr von einer japanischen Legende. Diese besagt, wer 1000 Kraniche faltet, hat bei den Göttern einen Wunsch frei. Bis zu ihrem Tod 1955 faltete sie über 1300 Orizuru (jpn.: Papierkranich). Bis heute werden Millionen selbstgefalteter Kraniche mit persönlichen Botschaften nach Hiroshima geschickt. Dort werden sie unter anderem in neue Papierbögen verarbeitet. Somit kann jeder ein Zeichen des Friedens erhalten.
Das Museum
Bei einem Besuch in Hiroshima ist das Hiroshima Peace Memorial Museum ein Pflichtprogrammpunkt. Das 1955 fertiggestellte Museum wird jährlich von über 1.000.000 Interessierten besucht. Es wurde einen Kilometer entfernt vom Atomic Bomb Dome – das bekannteste Wahrzeichen Hiroshimas – auf einer Insel des Flusses Motoyasu errichtet. Trotz des Alters wirkt es sehr modern. Der auf Stelzen stehende Mittelteil des Museums passt sich perfekt in die Symmetrie der umliegenden Grünanlagen ein. Mit Ausnahme einiger niedergelegten Blumensträuße lässt nichts ein Museum vermuten. Und erst recht nicht, dass hier eine Atombombe Zehntausende getötet hat.
Vor dem Eingang des Museums finden sich zwei digitale Uhren: Die eine zeigt die Zeit, seit die letzte Atombombe abgeworfen wurde – Nagasaki 1945. Die andere zählt seit 2017 hoch. In dem Jahr wurde der letzte Atomwaffen-Test durchgeführt, und zwar von Nordkorea. Insgesamt wurden bis heute 2056 Atomtests weltweit durchgeführt. Im Museum fallen zuerst die Physischen Ausstellungen auf. Von Kleidung, über Spielzeug, bis hin zu ganzen Gebäudeteilen: Die Anzahl an ausgestellten Gegenständen aus dem Explosionsradius ist überwältigend. Das Wissen, dass jeder Gegenstand für ein ausgelöschtes Menschenleben steht, löst Bedrückung aus. Zusätzlich existiert eine Vielzahl an Videos und Fotos aus 1945. Darunter ein Interview mit Paul Tibbets – Pilot der Enola Gay. In diesem beschreibt er die bevorstehende Mission über Hiroshima. Zu hören, mit welch Ruhe und Stolz er redet, lässt einen wünschen ihn als Zeitreisenden durchs Museum zu führen und all den Schrecken zu zeigen, von dem er ein Teil sein wird.
Im gesamten Museum fehlt ein Aspekt komplett: Selbstreflektion. Nirgends wird der Grund für den Abwurf der Atombombe beleuchtet. Es finden sich keine Informationen zu den Taten des imperialen Japans. Und nirgends werden die Alternativen zu dem Abwurf genannt. Beim Verlassen des Museums bleiben Fragen diesbezüglich offen. Außerhalb des Museums verändert sich die Atmosphäre wieder zu einem lebendigen Treiben. Man befindet sich wieder im aufgebauten Hiroshima – vollständig mit Infrastruktur und glücklichen Menschen. Das Gefühl der Demut, das im Museum herrschte, schwindet schnell.
Alternativen
War der Abwurf der Atombomben ein unnötig brutaler Akt, oder die einzige Möglichkeit das imperiale Japan aufzuhalten? Weder noch. Eine große Rolle spielten die Erfahrungen in Europa. Die Alliierten sendeten bei der Operation Overlord schätzungsweise 1.500.000 Soldaten zur Rückeroberung nach Frankreich. Sie startete mit der Landung in der Normandie. Dabei trafen die Alliierten auf etwa 50.000 deutsche Soldaten. Die deutsche Führung um Hitler glaube lange, dass die Alliierten bei der Straße von Dover angreifen würden: Der engste Punkt zwischen England und Frankreich. Bis zur Eroberung von Paris starben 70.000 Amerikaner, Britten und Franzosen. Die Verluste der Nationalsozialisten lagen bei 200.000.
Aufgrund der Geografie Japans gab es nur begrenzte mögliche Landepunkte. Das sehr bergige Terrain ließ für eine groß Invasion nur die Südküste von Kyushu zu. Hier hatten sich bereits 900.000 japanische Soldaten verschanzt. Hinzu kamen 5.500 Kamikaze Flugzeuge und 1.300 Schiffe und Flugzeuge. Die Zivilbevölkerung wurde angewiesen sich mit Bambusstöcken zu bewaffnen und auf jeden feindlichen Soldaten zu stürzen. Der damalige Außenminister der USA, Henry Stimson, prognostizierte in einem Bericht an den Präsidenten Verluste von 1,7 bis 4 Millionen amerikanischer Soldaten. Die zivilen Verluste hätten laut Stimson zwischen 5.000.000 bis 10.000.000 Zivilisten gelegen.
Alter Wissensstand
Nach vier Jahren Krieg war auch die amerikanische Bevölkerung des Krieges müde. Während des zweiten Weltkrieges starben fast 1.100.000 Soldaten der USA. All diese Zahlen führten dazu die Atombomben zum Schutz eigener Soldaten und möglichst schnellen Beendigung des Krieges einzusetzen. Zudem war das Wissen über die Gefahr der Strahlung lange nicht auf heutigem Stand. Das zeigt sich in weiteren Atombombentest nach 1945: Bei der Operation Crossroads sollte der Effekt einer Atombombe gegen maritime Ziele getestet werden. Das Ziel: Ein rosa bemaltes Schiff. Um dieses stehen weitere Schiffe der US-Navi bereit. Trotz Strahlenbelastungen, die ein 20.-Faches über der tödlichen Grenze lagen, mussten eigene Soldaten die nicht zerstörten Schiffe reinigen. Colonel Stafford Warren gelang es zunächst nicht den zuständigen Admiral von der starken Belastung zu überzeugen. Erst eine Woche später gelang es ihm: Er legte einen frisch gefangenen Fisch auf eine fotosensitive Platte. Die Strahlung des Fisches sorgte dafür, dass er ein Röntgenbild hinterließ.
Ob der Abwurf beider Atombomben gerechtfertigt war, richtet sich nicht nur nach Zahlen. Fast 80 Jahre später ist es für jeden ein individuelles Empfinden. Es ist unmöglich die Gefühle der US-Amerikaner heute nachzuempfinden. Genauso ist es unmöglich als einzelner Mensch die Zerstörung dieser Bomben völlig zu verstehen. Egal wie die persönliche Einstellung zu diesem Thema ist, eins ist klar: Diese Erfindung hat unsere Welt für immer verändert.